Premiere in Zerbst: „Wo du doch, Deutschland, meine Liebe …“

Premiere in Zerbst: Wo du doch, Deutschland, meine Liebe …“

Annegret Mainzer, Zerbst

Den Titel der im Rahmen der laufenden 52. Zerbster Kulturfesttage vom Internationalen Förderverein „Katharina II.“ Zerbst e.V. organisierten literarisch-musikalischen Lesung mit dem Titel „Wo du doch, Deutschland, meine Liebe …“ entlehnten die Künstler Ella Schwarzkopf und Alexandre Bytchkov einem Gedicht der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892-1941), das sie im Jahr 1914 schrieb und in dem sie sich zu Deutschland als ihre innere, ihre literarisch-poetische Heimat bekannte, was seinerzeit, bedingt durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges, im drastischen Widerspruch zur antideutschen Stimmung in Moskau stand.

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Johanna Lüdecke, Vorstandsmitglied des Katharina-Vereins, begrüßte die etwas mehr als 50 Gäste und dankte der Kreissparkasse Anhalt-Bittefeld sowie der Stadt Zerbst/ Anhalt für die bei der Organisation der Veranstaltung erwiesene Unterstützung und stellte im Kurzporträt die Akteure des Nachmittags vor.

Premiere hatte das Programm „Wo du doch, Deutschland, meine Liebe…“ in Zerbst/Anhalt, gestand die Mainzer Schauspielerin Ella Schwarzkopf, die in Kasachstan geboren wurde und dort zu den Mitbegründern des Staatlichen Deutschen Theaters gehörte.

Wo du doch, Deutschland, meine Liebe…“ stellt ein eine unterhaltsame und zugleich lehrreiche literarisch-musikalische (Vor-)Lesung über russische Dichter vom 18.- 20. Jahrhundert dar, die Deutschland und seine landschaftlich schön gelegenen Kurbäder nicht nur besucht, sondern diese auch in ihren Briefen und Werken verewigt haben. So kamen Dichtergrößen wie Alexander Puschkin, der aber Deutschland nie besucht hatte, Fjodor Dostojewski, Nikolai Karamsin, Alexander Blok, Nikolai Gogol, Lew Tolstoi, Marina Zwetajewa und Fjodor Tjutschew an diesem Nachmittag zu Wort. Dass heißt, Ella Schwarzkopf stellte in Auszügen die Begegnungen der genannten Literaten mit Deutschland und der deutschen Lebensweise vor.

So schwärmte Nikolai Karamsin in seinen Briefen eines russischen Reisenden in höchster Verzückung von der Rheinlandschaft sowie von seiner kindlichen Freude, endlich Rheinwein am Ufer der Rheins trinken zu dürfen. „Endlich erblick‘ ich dich, endlich kann ich dich preisen…“ grüßt er den Rhein.

Bevor Mimin Ella Schwarzkopf die berühmte Briefszene der Tatjana aus Alexander Puschkins „Eugen Onegin“, in der die in Liebesdingen unerfahrene Tatjana Onegin ihre Liebe offenbart, liest, erfährt das Zerbster Publikum von den Verbindungen der Tochter Puschkins zum Hause Nassau und somit nach Wiesbaden, wo heutzutage die Ururenkelin des Begründers der modernen russsischen Literatur lebt.

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Alexander Bloks Eindrücke vom Leben im deutschen Bad Nauheim bringt die Zuhörerschaft zum Schmunzeln, denn er klagt über die bis zum Mittag anhaltende Faulheit und Langeweile und dass die Deutschen so fürchterlich geschäftstüchtig, teilnahmslos und gar verfettet seien. „Immer nur Greise und Alte, wenige Junge …“- führt er weiter aus. Letztere Aussage könnte direkt aus einem zeitgenössischen Reisebericht über den einen oder anderen Ort in Deutschland stammen. Da Alexander Blok Heinrich Heines „Loreley“ ins Russische übersetzt hatte, rezitierte Ella Schwarzkopf den allseits bekannten Text in russischer Sprache unter musikalischer Begleitung durch Alexandre Bytchkov auf dem Knopfakkordeon.

Alexandre Bytchkov, mehrfacher Träger internationaler Preise, gestaltete den musikalischen Part des Programms – ein wahrer Meister auf dem Knopfakkordeon mit seinen zahlreichen verwirrenden Tasten und Knöpfen. Meist parierte er die Rezitationen und Lesungen seiner Partnerin mit dem gefühlvollen Spiel von Bearbeitungen bekannter russischer Romanzen, die die emotionale Wirkung des zuvor gesprochenen Wortes noch unterstrichen.

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Im festlich- historischen Gewand sprach die wandlungsfähige Ella Schwarzkopf den Monolog der Kaufmannstochter Agafia aus der Komödie „Die Heirat“ von Nikolai Gogol. Agafia empört sich klagend über die Probleme, den perfekten Ehemann zu finden und fürchtet sich ein wenig vor der Ehe: „So viele Jahre verbrachte ich in guter Ruhe, …wie viele Sorgen werden mir bevorstehen?“ Die Kinder oder Schwiegerkinder könnten ja sich im schlimmsten Falle zu Säufern oder Spielern entwickeln. – All diese Unentschlossenheit und Zweifel dieser Protagonistin bringt Ella Schwarzkopf nicht nur mit dem Einsatz ihrer Stimme zum Ausdruck, auch mit Mimik, Gestik und dem Spiel mit den Augen, mit Blicken arbeitet die Schauspielerin, was auch ihre Rollenempathie ausmacht. Wie auch beim Lesen zweier Auszüge aus Lew Tolstois Bestseller „Anna Karenina“. Gelesen wird die Szene, in der Kitty einen Ball erlebt und Anna sowie Wronsky begegnet. Schnell versteht Kitty, die selbst Wronsky zum Ehemann begehrte, dass dieser nur Anna liebt. Die vielseitig geschulte Stimme von Ella Schwarzkopf mit ihrem etwas rauchigen Timbre, wieder gepaart mit passender Gestik und Mimik, bringt die Brisanz der Ballszene, die darin zwischen den Zeilen anklingenden Zwischentöne ganz nah an das Publikum und versetzt dieses in einen Ballsaal des 19. Jahrhunderts. Musikalisch vertieft Alexandre Bytchkov diese Schwermut mit Oblivion des Argentiners Astor Piazzolla. In dieses Programm „Wo du doch, Deutschland, meine Liebe …“ passte Tolstois „Anna Karenina“ insofern, da er in seinem Roman dem deutschen Kurort Bad Soden, den er selbst besucht hatte, ein literarisches Denkmal setzte.

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Den Schluss der Lesung bildeten lyrische Aussagen der eingangs erwähnten Marina Zwetajewa, die durch ihre Mutter, eine Konzertpianistin mit deutschen Wurzeln, eine große Liebe zu Deutschland entwickelt hatte. In einem etwa um 1919 geschriebenen Prosatext „Über Deutschland“ erfand Marina Zwetajewa eine Umfrage – nach dem Motto: „Was lieben Sie an Deutschland?“ Auch das Gedicht „Germania“ der Zwetajewa bildet ein wahres Bekenntnis zu Deutschland. Diese Liebe der Marina Zwetajewa untermalte Alexandre Bytchkov musikalisch kraftvoll mit „Für mich soll`s rote Rosen regnen“.

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Das Zerbster Publikum bedachte die gut zweitstündige und doch kurzweilige Vor-(Lesung) „Wo du doch, Deutschland, meine Liebe …“ mit den Künstlern Ella Schwarzkopf und Alexandre Bytchkov mit zustimmendem und lang anhaltendem Beifall.

Tatyana Nindel, Vorsitzende des Internationalen Fördrvereins „Katharina II.“ Zerbst e.V., bedankte sich bei den Akteuren, gab wage Aussicht auf künftige gemeinsame Projekte und meinte, dass sie schnell nach Hause müsse, um ihre „Anna Karenina“, ihren Gogol oder Dostojewski aus dem Bücherregal zu nehmen und wieder zu lesen. Zerbstergazette ist überzeugt, so erging es sicher vielen im Publikum.

Zerbst, den 05. März 2017

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